Feuerwehr

Tatsachenbericht 1930 des Feuerwehrmanns Hermann Eßer

Es war an einem Sommermorgen am 22.6.1930, an meinem Geburtstag, als im Morgengrauen die Alarmsignale der Feuerwehr durch die Morgenstille hallten. Als Mitglied der Feuerwehr war ich sofort auf den Beinen. Unser ehemaliger Bürgermeister Schmitz rief mir zu: „Schnell zum Felsenkeller, Pfadfinder sollen verschüttet. sein. Als ich am Felsenkeller ankam, sagte Brandmeister Schiffer: „Wer will freiwillig mit in den Felsenkeller?“ Denn eine Gruppe Pfadfinder, die beiseite ganz verstört saß sagte, dass im Felsenkeller drei Freunde von Ihnen durch herabfallende Felsbrocken verschüttet worden wären. Wir glaubten Ihnen nicht und zwangen einen der Jungen uns zu führen.

Der Weg führte durch enge Gänge, und im Pechfackellicht war zunächst nichts zu erkennen. Nach etwa 20 Minuten kriechen rief einer der Jungen: „Dort ist es!“ Wir stutzten und leuchteten mit unseren Fackeln das Gelände ab.

In einer Mulde, etwa 5 Meter vor uns, sah ich den dunkellockigen Kopf eines Jungen, der mit dem Gesicht auf den vorgestreckten Händen lag. Wir selbst ahnten nicht die Gefahr, in der wir uns befanden. Ich stürzte auf den Jungen hin und fasste ihn an den Händen. Ich fühlte, dass sie kalt waren. Wir versuchten den Jungen unter den Felsbrocken heraus zu ziehen,und da sahen wir erst wie schwer diese Brocken waren und das es unmöglich war. Nach kurzer Beratung beschlossen wir, dass einige Kameraden Seile und Abstützbalken holen sollten. Ich blieb mit einigen anderen an der Unglücksstelle zurück.

Wir leuchteten mit unseren Pechfackeln die Unglücksstelle ab und sahen, daß über uns noch mehrere Felsbrocken lose waren. In einer Nische beiseite fanden wir eine dunkele Baskenmütze und ein Kochgeschirr mit mehreren Eiern. Dann suchten wir auch das Vorgelände der Unglücksstelle ab und sahen, dass die Jungen mit Ihren Spaten den Fels abgekratzt hatten, so dass der helle Stein heraus kam. Auf diesen hatten sie mit Ihren Fackeln drei Kreuze und darunter den Namen Ihrer Gruppe nämlich Schinderhannes gebrannt.

Nach endlosem Warten kamen endlich die Kameraden zurück und brachten Spaten mit. Dann begannen wir den ersten der Toten freizugraben. Er lag auf den Knien und war durch den Felsbrocken zusammengedrückt, als er nach vorne springen wollte, um sein Gesicht vor den herabfallenden Sandmassen zu schützen.

Beim Graben sahen wir plötzlich noch eine nach vorne gestreckte Hand und später auch das zusammengedrückte Knie eines Jungen. Auf dem Bauche liegend haben wir eifrig versucht den ersten freizugraben. Einmal sah ich nach oben und stellte fest, dass genau über mir ein Felsen locker war. Ich dachte: �Wenn der Felsbrocken jetzt nachgibt, liegst du mit dem Kopf darunter, und die anderen sehen dich noch mal zappeln und dann bist du tot.� Mit zwei oder drei Mann haben wir dann den Jungen herausgezogen. Da wir keine Abstützvorrichtung hatten, mussten wir den anderen, Albert Voigt, liegenlassen.

Etwa gegen fünf Uhr morgens waren wir zur Bergung in den Felsenkeller hinneingekrochen. Da war im Wald noch Totenstille. Als wir nun mit dem ersten Toten ans Tageslicht kamen, war es mittlerweile Mittag geworden und draußen drängelten sich Hunderte von Menschen. Ich verließ als letzter den Felsenkeller und ein Mann fragte mich: „Sind Sie der letzte?“ Ich bejahte und dann sagte der Mann zu unserem Brandmeister: „Ich bin Staatsanwalt und verbiete hiermit das Betreten der Unglücksstelle bis auf weiteres“.

Dienstag, den 24.6.1930

Heinrich Pöskes den wir geborgen hatten, sollte auf dem Südfriedhof in Düsseldorf begraben werden. Albert Voigts konnten wir nicht bergen, ebensowenig wie Paul Schneider den wir nicht gesehen haben.

In Liedberg und Umgebung ging das Gerücht umher Paul Schneider würde unten im Felsenkeller herumirren und vielleicht verhungern. Unser Bürgermeister Schmitz hatte eine Kommission auf dem Bürgermeisteramt versammelt die beraten sollte, wie wir am bestem an den Unglücksort heran kämen, denn es war uns ja verboten worden. Der Bürgermeister ließ mir sagen ich solle zum Bürgermeisteramt kommen. Als ich dort ankam, legte man mir eine Karte von den unterirdischen Felsengängen vor. Anhand dieser Karte sollte ich zeigen, wo die Unglücksstelle sei. Das war mir nicht möglich und daraufhin fragte mich der Bürgermeister, ob ich bereit sei, den Brunnenbauer Hurtmann aus Helenabrunn bei Mönchengladbach mit dem Fizebrandmeister an die Unglücksstelle zu führen. Da uns das Betreten der Unglücksstelle als Feuerwehrmann durch den Staatsanwalt untersagt war, wurde ich als Mitarbeiter der Firma Hurtmann eingestellt und gegen Lebensgefahr versichert. Darauf gingen Hurtmann, Vennen und ich mit Pechfackeln und Seilen ausgerüstet in die unterirdischen Gänge. Nach zwanzig Minuten kamen wir an der Unglücksstelle an. Wir leuchteten sie mit den Pechfackeln gründlich aus, und da sah ich mit Entsetzen und Erstaunen das wir beim Freigraben des Verunglückten selbst in größter Lebensgefahr geschwebt hatten, da an der Felsendecke noch einige schwere Felsenbrocken gelöst herunter hingen. Herr Hurtmann als Sachverständiger stellte fest, dass hinter Albert Voigt unter den abgestürzten Felsbrocken auch der Pfadfinder Paul Schneider liegen mußte. Wir haben trotzdem noch nach Ihm gerufen. Ein mehrfaches, grausiges Echo in den Felsenhängen gab uns Antwort. Zwischen den herabhängenden Felsbrocken waren rot-braune Felsadern aus denen laufend laut bumsende Tropfen in den Sand fielen. Darauf hin sagte Hurtmann daß die Temperaturveränderung durch unsere Pechfackeln bewirken könne daß sich plötzlich die Brocken lösen und uns niederschlagen können. Danach sind wir aus den unterirdischen Gängen wieder ans Tageslicht zurückgekrochen, draussen standen im strömenden Regen wieder hunderte von Menschen und wir haben unterhalb erkannt, daß der vermisste Paul Schneider tot unter den Felsbrocken liegen musste. Nach einigen Tagen wurde vom Brandmeister angeordnet, dass der Eingang des Felsenkellers mit Beton und Erdmassen zugeschüttet wird.

Draußen vor dem Eingang befindet sich noch heute der Gedenkstein der drei verschütteten Pfadfinder aus Düsseldorf: Heinrich Pöskes, Albert Voigt, Paul Schneiders.

Quelle: Archiv des DPSG Stammes Scheuburg

Anmerkung: Der Bericht des Feuerwehrmanns Hermann Eßer ist rückblickend im Jahr 1975 geschrieben worden – so zitiert RP-Online 2010 Lorenz Meyer von Arbeitsgruppe historisches Liedberg.

Mit herzlichen Dank an Heinz Nieveler aus Jüchen für die technische Bearbeitung und das Digitalisieren der historischen Dokumente!

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